Seit ein paar Monaten merke ich, wie mein Hörsinn feiner wird.
Vieles ist mir zu laut, zu hektisch, zu viel geworden. Vielleicht liegt es auch an der Ruhe, die Corona mit sich gebracht hat, denn die Welt ist stiller geworden.
Unser Leben war bisher meist vom Sehen dominiert
Wie etwas aussah, war enorm wichtig. Schön sollten die Menschen, Autos und Häuser sein.
Hübsch auf dem Instagram-Post auszusehen war wichtiger als der Klang der Stimme oder der Inhalt der Worte, die der Influencer von sich gab.
Der schön gemähte Rasen vor dem Haus war wichtiger als die Bienen, die Blumen für ihre Nahrung brauchen, und die wir brauchen, weil sonst bald auch für uns kein Essen mehr wächst.
Ein schicker SUV musste her anstatt ein Kleinwagen, auch wenn der hohe Spritverbrauch die Umwelt noch mehr belastete.
So tickte die breite Masse der Menschen. Status und Schönheit definierten sich vor allem über das Optische.
Hören hatte einen nachrangigen Status
„Auf jemanden hören“ bedeutet auch, gehorsam zu sein und zu tun, was jemand empfiehlt oder verlangt. Doch wer will schon „hörig“ sein!?
„Zuhören können“ wurde immer als Gabe bezeichnet. – Das spricht für sich! Offenbar war es immer etwas Seltenes, wenn jemand sich zurücknehmen und einem anderen zuhören konnte.
Doch nun ist die Welt anders geworden
Die durch Corona verordnete Ruhe und Unsicherheit hat viele von uns in gewisser Weise ruhig gestellt. Und es ist stiller in unseren Leben geworden.
Ablenkungen in Form von Festen, Konzerten, Kino, Partys, Seminare, Essen und Shoppen gehen etc. gibt es nicht mehr. In Urlaub fliegen – kaum noch möglich. Wir sitzen zuhause und es bleibt uns unser Heim, die Menschen um uns und die Natur. Und wir wandern und radeln, was das Zeug hält.
Und je länger Corona dauert, desto weniger Sehnsucht verspüre ich nach all den Ablenkungen. Desto mehr genieße ich die Stille und Ruhe.
Sie war mir nicht fremd, die Stille, weil ich es schon immer geliebt habe, sie in der Natur, in der Meditation oder beim Lesen von Büchern zu erfahren. Und doch wurde sie nun nochmal tiefer und umfassender.
Ich war noch mehr mit mir selbst konfrontiert, weil plötzlich so viel Freizeit da war – auch weil ich meinen gewohnten Aktivitäten nicht mehr nachgehen konnte: Alle Proben und Konzerte fielen aus und tun es immer noch.
Ein neues Hören
Seit ein paar Wochen, seit die Vögel den beginnenden Frühling besingen, höre ich ihren Gesang auf neue Weise.
Sobald ein Vogel um das Haus herum sein Lied anstimmt, hält etwas in mir inne und lauscht. Der Gesang erscheint mir besonders laut und eindringlich, als würde der Vogel ein echtes Lied mit Worten singen, die eine Botschaft in sich tragen, nur dass ich die Worte nicht verstehen kann.
Zur Zeit geht es mir mit einer Amsel so, die im Garten auf immer dem gleichen Ast des Magnolienbaums singt, wenn ich neben ihr etwas arbeite oder Fotos mache. Hier im Video kannst du ihr Lied vom 1. April hören:
Sollen wir zuhören lernen?
Ich frage mich, ob Corona nicht nur Einschränkungen bietet, sondern auch Chancen. Und ich weiß, dass viele Menschen sich diese Frage ebenfalls stellen und schon einige Chancen dieser Zeit erkannt und benannt wurden.
Eine Chance liegt definitiv auch darin, dass sich das „lauter, höher, weiter, schneller“ im Leben wandelt zu „leiser, stabiler, näher, langsamer“. – Werte, die bisher doch in der breiten Masse keine so große Rolle gespielt hatten.
Wenn wir leiser werden, können wir auch endlich einmal Dinge hören, für die wir bisher kein Ohr hatten.
Ob es der Gesang der Vögel ist oder unsere Mitmenschen, denen wir vielleicht aufmerksamer zuhören, weil es uns jetzt wirklich interessiert, wie es ihnen geht.
Vielleicht hören wir auch unsere innere Stimme besser, die uns zur Leitschnur wird, was wir jetzt brauchen. Denn die Corona-Zeit ist für niemanden einfach. Es ist daher um so wichtiger, dass wir gut für uns sorgen und spüren, was wir wirklich benötigen.
Konfrontiert mit sich selbst kann auch ein ganz schönes Päckchen an Erinnerungen und Gefühlen hochkommen, die wir sonst immer gerne etwas unter Verschluss gehalten und uns davon abgelenkt haben. Auch sie wollen gehört werden, damit sie aus ihrem dunklen Kämmerchen kommen können und wieder frei sind. Das erleichtert nämlich auch uns.
Wer oder was will uns etwas sagen, was es zu hören gilt?
Da auf dieser Welt eigentlich nichts zufällig passiert, weil alles mit allem verwoben ist, frage ich mich auch: Wer will uns hier etwas sagen? Und auf was sollen wir hören?
Die große Intelligenz von Mutter Erde ist bestimmt eine Stimme, die immer lauter erklingt. Denn Pandemien entstehen nicht zufällig. Und ganz abgesehen davon hat die Erde dank uns noch viel größere Probleme, die auch zunehmend zu unseren Problemen werden.
Doch die ganz große Intelligenz, die hinter allem steht, hat bestimmt auch ein Wörtchen mit uns zu reden.
Und da wir nun still halten und vielleicht mehr zuhören, können wir auch ihre Stimme besser vernehmen. Gott hat schon zu allen Zeiten zu Menschen gesprochen und sie tut es immer noch. Er will uns führen und leiten durch ein Leben voller Wohlergehen und Freude. Doch wenn wir nicht zuhören und uns selber durchkämpfen wollen, kann es länger dauern, bis wir ein glückliches und freies Leben führen.
Vielleicht will Gott diesen Weg nun für und mit uns abkürzen. Sie hat uns eine Weile zappeln und machen lassen in unserer grenzenlosen Freiheit. Doch nun ruft sie wie eine Mutter wieder nach uns: „Komm nach Hause, Liebes! Es ist Zeit, zu essen und dann auszuruhen.“ Und Gott bietet uns an, wieder in seinem Haus Platz zu nehmen und bei ihm zu bleiben.
Sich in die höhere Ordnung begeben
Gott ist nichts Abstraktes oder Theologisches. Er/sie/es ist die Kraft, die alles durchdringt. Die höhere Ordnung, die hinter allem steht, die alles kennt und alles in Harmonie hält. Und wir sind – jeder Einzelne von uns – ein Teil dieses großen Mosaiks namens Leben.
Lasse ich mich führen von dieser Kraft, so sagt sie mir immer wieder, was sie für mich vorgesehen hat, was ihr höchster Plan für mich ist. Und letztlich ist es der Plan meiner Seele, die ein Tropfen im Meer Gottes ist.
„Komm nach Hause zu mir“ ruft diese göttliche, wunderbare Kraft immer wieder sanft und leise in deinem Herzen. – Kannst du es hören?
Es hat nichts mit „nach Hause gehen“ im Sinne von Sterben zu tun, sondern es ist ein Heimkommen mitten im Leben.
Ein Einfügen in die höhere Ordnung, die alles bestimmt.
Ein großes JA zur Liebe, die dich in ihren Händen hält.
Ein Loslassen in die Liebe hinein.
Ein Hören und sich leiten Lassen vom höchsten Prinzip, was existiert.
Und damit schwingst auch du dich auf – mitten in deinem Leben – zu diesem Höchsten und Schönsten, was es gibt: Der Liebe, die auch in dir lebt und sich verströmen möchte.
Lass es jetzt zu und folge ihr.
Herzlichst,
deine Helga