Heute möchte ich mal eine Lanze brechen für das Singen im Kirchenchor und dir gleichzeitig aufzeigen, warum du durch Selbstverpflichtung letztlich die ersehnte Freiheit findest.
„Oh Gott, die Kirche!“
Viele Leute haben heutzutage Vorbehalte gegen die Kirche. Vor allem in der „spirituellen“ Szene wird gerne davon Abstand genommen, weil man mit diesen „veralteten“ Institutionen nichts mehr zu tun haben will, die im Grunde genommen doch nur an Machterhalt interessiert seien und die Spiritualität aus den Augen verloren hätten.
Aus eigener Erfahrung durch 10-jähriges Mitmischen in der sogenannten „spirituellen Szene“ kann ich berichten, dass auch einige der dortigen „Machthaber“, genannt Lebensberater, Yoga-Gurus, Leader etc., auch nur allzu menschlich ticken und oft das, was sie propagieren, nicht leben. Was ich dort schon an Machtmissbrauch erlebt habe, bis hin zur bewussten Verletzung von Menschen, Geldfixierung, Ausnutzung von anderen und Sex in Situationen, wo es alles andere als ethisch war, darüber könnte ich ein ganzes Buch schreiben. Und irgendwie ist es doch einfach nur alles menschlich.
Seither kommen mir aber zumindest all diese Geschichten in Bezug auf die Institution „Kirche“ auch nicht mehr so viel abartiger vor.
Vielleicht ist auch das mit ein Grund, dass ich wieder mehr zu meinen Wurzeln gefunden habe, die in der Kirche verankert sind. Und da Singen für mich das größte Glück ist, liegt es auch nahe, dies in der Kirche zu tun, wo der Klang die Herzen ganz besonders berührt.
„Oh Gott, Verbindlichkeit!“
Das Besondere an einem Kirchenchor ist sicherlich die Verbindlichkeit, die man als Mitglied eingeht. Es ist kein Projektchor, zu dem man sich nur ein paar Wochen oder Monate verpflichtet, sondern man bindet sich für die Dauer der Mitgliedschaft.
Man probt wöchentlich, nur in den Ferien nicht.
Man lernt neben gängigen und weniger bekannten Kirchenliedern auch großartige kirchenmusikalische Werke namhafter Komponisten. Es braucht zwar Zeit, bis man diese meist umfangreichen Messen beherrscht, jedoch sind sie ein außerordentlicher Genuss und eine Bereicherung für Sänger und Zuhörer.
Man singt an allen großen Feiertagen. Wenn andere genüsslich ausschlafen, steht man um 8 Uhr schon unter der Dusche und summt sich warm für die Probe um 9 Uhr und das Singen ab 10 Uhr.
Man ist Teil eines Vereins und hilft auch mit bei Festen, besonderen Anlässen etc. Man macht gemeinsame Ausflüge und ist eine bunte Truppe verschiedenster Charaktere mit unterschiedlichsten Lebenshintergründen.
Doch gemeinsam ist allen die Liebe zur Musik und die Hingabe zum Singen.
All dies macht eine Mitgliedschaft im Kirchenchor zwar schön, aber nicht gerade populär. Das zeigt sich überall an dem mangelnden Nachwuchs an Sängerinnen und Sängern, denn Verpflichtung ist für viele ein grausliches Ding (war es früher auch für mich). Wir wollen ja alle frei sein.
Glück durch Dienst an der Sache
Außergewöhnlich für das Singen im Kirchenchor ist sicherlich auch, dass es hier nicht darum geht, Ansehen zu erlangen, sich der Öffentlichkeit zu präsentieren, Geld zu verdienen oder seinen Status auf andere Art anzuheben. Ja, oft sieht man die Sängerinnen und Sänger nicht einmal, weil sie auf der Empore bei der Orgel sind, und man hört nur ihre Stimmen.
Es ist ein reiner Dienst an der Sache. Wir singen zur Freude der Menschen, die in die Kirche kommen. Wir singen, weil es auch unser Herz berührt. Wir singen, um Gott mit unseren Stimmen, die er uns geschenkt hat, zu ehren. Weil es uns glücklich macht, zusammen mit anderen Menschen zu singen.
Selbstverpflichtung als Weg zu Freiheit und Erfüllung
Auch wenn ich im Grunde ein Mensch bin, der sich lange gescheut hat, Verpflichtungen einzugehen, habe ich schon vor Jahren mit meinem Seminarzentrum gelernt, welches Glück und welche Erfüllung es bringt, sich einer Sache ganz zu verschreiben.
An die Stelle des Seminarzentrums sind nun das Schreiben und das Singen getreten.
Ich habe mich verpflichtet, jede Woche auf meinem Blog zu schreiben und jeden Freitag oder Samstag einen Newsletter zu versenden (Urlaub ausgenommen). – An dieser Stelle herzlichen Dank an nahezu 100 treue Leserinnen und Leser, die mit mir in diesen Blog gestartet sind!
Und ich habe mich dazu verpflichtet, in Chören mitzusingen und so eben auch im Kirchenchor.
Diese Verpflichtungen sind die Garanten dafür, dass ich regelmäßig das tue, was ich liebe. Denn ohne Verpflichtung würden Alltagstrott und Bequemlichkeit zu oft siegen.
Durch Verpflichtung und Dienst an anderen, ohne eine Gegenleistung einzufordern, treten wir aus Selbstbezogenheit und Lust-Unlust-Gefühlen und -Handlungen heraus. Wir heben uns durch unsere Hingabe an etwas, was uns wichtig ist, aus dem Alltags-Sumpf selbst empor und entdecken, welches Glück darin liegt, von seinen Ego-Befindlichkeiten mal abzulassen und sich einer Sache zu widmen, die dieses Level übersteigt.
Wir werden – zumindest für die Zeit des Tuns – frei von unseren Mustern und Prägungen und wachsen quasi ein Stück mehr über uns selbst hinaus.
Hingabe und Selbstverpflichtung machen es möglich.
Aus vermeintlicher Unfreiheit wird wahre Freiheit und Erfüllung. – Wieder eine der Widersprüchlichkeiten dieses verrückten, schönen Lebens! 🙂