Ich liebe die Grenzenlosigkeit. Alles für möglich zu halten. Den freien Geist fliegen lassen. Mich vom Flow mitreißen lassen. Für das große Ganze mitdenken.
Das ist vor allem beim kreativen Tun großartig – wenn ich Texte schreibe, oder wenn ich singe. Doch im Leben mit seinen Anforderungen und seinem Alltag würde Grenzenlosigkeit einen auslaugen und leer laufen lassen.
Grenzenlosigkeit im Alltag
Wie kann es aussehen, wenn man im Alltag ohne Grenzen lebt? Hier einige Beispiele:
- Man arbeitet zu viel. Übernimmt zu viele Aufgaben und investiert zu viel Zeit. – Ist aber auch für das Unternehmen ein/e großartige/r Mitarbeiter/in.
- Man jongliert mit zehn Projekten gleichzeitig, weil gerade alle so spannend und wichtig sind.
- Man springt in seiner Freizeit zu jedem Fest und jeder Party, weil man ja nichts verpassen will.
- Man isst und trinkt immer wieder über die Maßen.
- Man glaubt, dass man genügend Kraft hat, um noch mehr zu bewältigen.
- Man ist immer erreichbar und immer verfügbar.
- Man wird allen Familienmitgliedern und Freunden gerecht, ist immer zur Stelle und kümmert sich verlässlich um alles.
- Man nimmt als sensibler Mensch sehr viele Reize, Stimmungen und Gefühle von anderen auf, was das eigene System schnell überreizt.
- Man glaubt, für alles und jeden offen bleiben zu müssen, auch wenn bestimmte Menschen einem nicht gut tun.
- Man strebt nach immer mehr Einkommen.
- Die Firma muss immer weiter wachsen. Der Gewinn muss stetig steigen.
- Man muss sicher immer neue Dinge kaufen.
- …
Bestimmt fallen dir noch mehr Beispiele ein.
Es kann aus Lust sein, alle Grenzen aufzuheben. Es kann aus dem Glauben heraus sein, ich dürfte keine Grenzen setzen, um ein guter Mensch zu sein. Doch gerade das ist in einer Welt, in der viele nur an ihren Vorteil und Nutzen denken, für andere ein gefundenes Fressen, was sie mit Freuden annehmen werden. Sie werden dir zunächst ihren Dank aussprechen, doch irgendwann wird es umschlagen in Ausnutzung und Verachtung. Weil sie spüren, dass du dir selbst nicht wichtig genug bist, um eine klare Grenze zu setzen und diese einzuhalten.
Und damit sind wir beim Punkt
Tief in dir weißt und spürst du eigentlich ganz genau, wann es genug für dich ist. Und die Sehnsucht in deinem Herzen erzählt dir schon lange von Träumen, die in dir schlummern und gelebt werden möchten. Und du weißt eigentlich, wann du Ruhe bräuchtest. Du weißt auch, was dir gut tun würde.
Aber: Da sind ja so viele Anforderungen von außen!
Doch wessen Aufgabe ist es, für dich zu sorgen? – Wenn du kein Kind mehr bist, dann bist DU es, die/der für dich zu sorgen hat, und niemand sonst!
Da Seele und Körper verlässliche Partner sind, ist es wahrscheinlich, dass sie dich irgendwann auf die Schieflagen hinweisen werden. Dafür kannst du wirklich dankbar sein. Sie stoßen in dir einen Prozess an, der dich zur Wandlung und Veränderung deiner Prioritäten führen kann, wenn du dich dem hingibst.
Auch die letzten zwei Jahre Corona-Pandemie haben solche Prozesse in vielen von uns angestoßen. Wie viele von uns sagten im zweiten Jahr, dass sie es schätzen, mehr Zeit und Ruhe für sich zu haben und das für die Zukunft beibehalten wollen! Und wie viele leben es noch oder jagen schon wieder allem nach, was möglich ist? – Ich hatte manchem auch schon wieder nachgegeben, aber die Alarmglocken schrillten!
Die nächsten Jahre werden uns noch Einiges an Einschränkungen und Veränderung unserer Sichtweisen abverlangen. Doch muss es schlecht sein? Oder kann es uns auch mehr zu uns selbst zurückführen?
Grenzen aus Liebe setzen
So lasst uns doch darin üben, uns selbst zuliebe Grenzen zu setzen, diese einzuhalten und auch zu verteidigen. Das kann so aussehen:
- Nur so viel Arbeiten wie vereinbart und nötig. Nein sagen, wenn es zu viel würde.
- Sich auf wenige, wirklich wichtige Projekte begrenzen.
- Freizeit als freie Zeit genießen, in der ich nichts erleben und keinen Zweck erfüllen muss.
- Maßvoll essen und trinken, weil es der Körper mit Energie, Leichtigkeit und Wohlgefühl dankt.
- Seine Kräfte gut einteilen und auch Pausen machen.
- Nicht immer erreichbar sein und nicht immer Zeit für alle haben.
- Evtl. lange Gesichter aushalten lernen, weil man gerade keine Zeit und Lust hat, sich zu kümmern, zuzuhören und parat zu stehen. Wer es nicht respektieren kann, hat selbst ein Problem.
- Als sensibler Mensch die Reize von außen begrenzen lernen.
- Zu Menschen, die einem nicht gut tun, den Kontakt abbrechen.
- Wissen, ob ich die Beförderung und das höhere Einkommen wirklich will und brauche oder ob der Preis zu hoch sein wird.
- Endlich Wirtschaftswachstum begrenzen, um Ressourcen zu schonen und die Umwelt zu bewahren.
- Weniger Dinge besitzen und diese dafür wertschätzen. Kaufen aus Notwendigkeit, nicht aus Lust.
Wie fühlt sich das für dich an? Klingt es verlockend? – Ja, das ist es wirklich! 🙂
Spürst du bei manchen Punkten aber auch ein schlechtes Gewissen, weil du es gewohnt bist, es anderen recht zu machen? – Willkommen im Club! 🙂
Denkst du bei manchem: „Ja, das wäre schön. Aber es ist nicht so einfach!“ – Ja, es kostet erst einmal Überwindung. Bis es zur neuen Gewohnheit wird.
Mehr Freude, Zufriedenheit und Erfüllung warten auf uns, wenn wir Grenzen setzen und diese einhalten. Denn letztlich dienen sie alle unserer Selbstfürsorge.
Und natürlich geht es nie darum, anderen notwendige Hilfe zu versagen oder vor den Kopf zu stoßen. Es geht um die Liebe zu dir selbst. Und wenn du aus dieser Haltung Grenzen setzt, kommt das auch bei anderen so an. Wenn sie dennoch wütend werden und Druck auf dich ausüben wollen, ist es ihr Problem, aber nicht deines.
Andere dürfen und sollen genauso wissen, was ihnen gut tut und was sie brauchen. Und sie sollen für sich liebevoll sorgen. Wenn sie es aber auf Kosten anderer erreichen wollen, funktioniert das nur mit denen, die nicht gut für sich sorgen. – Als Mensch, der sich selbst lieben kann, wirst du für die Zeitgenossen, die andere für ihre Zwecke einspannen wollen, nur noch zur Verfügung stehen, wenn du es wirklich willst und es dir gut tut.
Es ist deine Aufgabe, dich selbst zu lieben und gut für dich zu sorgen. Und dies ebenso anderen zuzugestehen.
Schließlich hat Jesus nicht gesagt: „Liebe dich selbst so, wie andere dich lieben.“, sondern: „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ – Zuerst soll ich mich selbst lieben, und dann kann ich auch andere lieben.
Alles Liebe dafür.
Herzlichst,
Helga
16. Oktober 2022 um 10:53
Liebe Helga,
wie immer hast Du die passenden, berührenden Worte zur aktuellen Zeitqualität. Vielen Dank dafür.
17. Oktober 2022 um 11:28
Sehr gerne, liebe Maria. 🙂